Merk´s Wien

Essen, essen...

Er ist wieder da! Seit mehr als zehn Jahren dreht er Aufmerksamkeit heischend  im Grätzel vom Lueger Platz zum Schwedenplatz seine Runden.  Die graue Stoffhose sehr abgetragen, ein Hemd undefinierbarer Farbgebung, das Sakko mal blau mal dunkelrot schluddrig hängend. Ein stylisches Outfit für seine Art Geschäft. 

Kurz war er verschollen gewesen, Corona hatte auch ihm die wirtschaftliche Basis entzogen. „Essen, essen“, tönt es zwischen den beiden Zähnen hervor, begleitet von einer unmissverständlichen Handbewegung zum Mund. Die Viruspause hat er nicht untätig verstreichen lassen. Er hat nach all den Jahren immerhin ein zweites Wort gelernt: „Bitte!“

Er ist zudem nicht allein gekommen. Er hat sie alle wieder mitgebracht: Den Bedauernswerten mit dem kaputten auch bei Kälte öffentlich präsentierten Bein und den Krücken vor dem Supermarkteingang, die stundenlang stillsitzende Schwangere mit dem Hilfe-Taferl, und auch den fidelen Musiker in der U-Bahn, der auf der Harmonika stets dasselbe Stück spielt und dann flink Waggon oder Fahrtrichtung wechselt.

Bevor uns das Erbarmen überwältigt, dürfen einige Fragen gestellt werden: Wo waren sie alle in der Hoch-Zeit des Virus? Warum schauen alle so lange unverändert aus?  Wie zum Kuckuck geht das jahrelang ohne Aufenthaltsbewilligung? Sind das alle EU-Bürger oder 10 Jahre U-Boot? In zehn Jahren nicht einmal kontrolliert? In zehn Jahren weder verbessert noch verschlechtert?

Im Übrigen hat „ihn“ der Autor dieser Zeilen, der in solchen Fällen schon mal ein paar Münzen oder einen 5er zückt, Hugo getauft. Er wurde vor einigen Jahren im Gastgarten eines Innenstadt-Beisls zum Mahl geladen, löffelte dankbar, um danach kaum 30 Meter weiter dem ersten Passanten in gewohnter Weise „Essen, essen“ vorzutragen. Alles für den Hugo!

- tho-